Eine Handvoll Fragen an Jana Priemer zur Einbindung der Zivilgesellschaft in das kommunale Bildungsmanagement
Mit ihrem Engagement in allen gesellschaftsrelevanten Handlungsfeldern und durch ihre kommunale Verbundenheit sind zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereine und Engagierte zentrale Akteure vor Ort. Oftmals unbewusst und nebenbei erweitern sie formale Bildung um non-formales und informelles Lernen und leisten einen besonderen Beitrag für persönliche Entfaltung, Teilhabe und individuelles Lernen. Trotz ihres großen Einsatzes für das Gelingen individueller Bildungsbiografien bleiben sie als Bildungsakteur*innen oftmals unerkannt. Bislang lagen dazu kaum datenbasierte Erkenntnisse vor. Diese Lücke hat nun das Forschungsprojekt „Zivilgesellschaft und Bildung. Bürgerschaftliches Engagement in kommunalen Bildungslandschaften“ in den Blick genommen.
Im Verbund haben der Stiftungen für Bildung e.V. mit dem Netzwerk Stiftungen und Bildung und das Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und die Freie Universität Berlin die Rolle und Bedeutung der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in ihrer Formen- und Angebotsvielfalt in kommunalen Bildungslandschaften beforscht.
Kommunen
stärken
Impulse
geben
Vernetzung
fördern
1. Frau Priemer, Sie arbeiten am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung und waren an der Studie „Zivilgesellschaft und Bildung. Bürgerschaftliches Engagement in kommunalen Bildungslandschaften“ aktiv beteiligt. Wie definieren Sie in Ihrer Studie Zivilgesellschaft und wer ist konkret mit zivilgesellschaftlichen Bildungsakteur*innen gemeint?

Zivilgesellschaft zu definieren, ist nicht ganz einfach, da es unterschiedliche Perspektiven gibt. Als empirische Zivilgesellschaftsforscherin wähle ich einen Zugang, der die Akteur*innen in den Mittelpunkt stellt.
Ich verstehe Zivilgesellschaft als eine eigenständige gesellschaftliche Sphäre – neben Staat, Markt und Privatsphäre. In diesem Raum engagieren sich vielfältige Akteur*innen freiwillig und gemeinwohlorientiert. Dazu zählen einerseits Einzelpersonen: nicht nur Ehrenamtliche mit festen Funktionen wie Trainer*innen oder Vorstandsmitglieder, sondern auch Menschen, die sich punktuell engagieren – etwa Eltern, Schüler*innen oder Lehrkräfte, die an Schulen freiwillig zusätzliche Aufgaben übernehmen, zum Beispiel als Schülerlots*innen oder Streitschlichter*innen.
Andererseits gehören auch Gruppen zur Zivilgesellschaft – sowohl informelle Initiativen als auch formell organisierte Akteur*innen wie Stiftungen, Vereine oder gemeinnützige Organisationen. Besonders Stiftungen haben in den letzten 20 bis 30 Jahren an Bedeutung im Bildungsbereich gewonnen. Oft übersehen wird dabei, dass es in Deutschland über 600.000 eingetragene Vereine gibt, die ebenfalls wichtige zivilgesellschaftliche Beiträge leisten.
Wenn sich Einzelpersonen im Bildungsbereich engagieren – etwa als Übungsleiter*innen oder Nachhilfegebende – sprechen wir von Bildungsengagierten. Organisationen, die entsprechende Bildungsangebote machen, bezeichnen wir als Bildungsorganisationen.
2. Welche Potenziale bietet die Zusammenarbeit von Kommune mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bezogen auf die Erhöhung von Chancengerechtigkeit und Bildungserfolg?
Bildungsengagierte und Bildungsorganisationen der Zivilgesellschaft ergänzen mit ihren vielfältigen Angeboten das staatliche Bildungssystem. Sie erweitern das Spektrum klassischer Bildungsangebote – zum Beispiel um kulturelle, soziale oder umweltbezogene Themen – und richten sich entweder an die gesamte Gesellschaft oder gezielt an Gruppen, die vom formalen Bildungssystem nicht immer gut erreicht werden.
So gibt es zahlreiche Angebote für Menschen mit Lernschwierigkeiten, etwa ehrenamtliche Lesementor*innen, die Schulanfänger*innen beim Lesenlernen begleiten und ihnen den Start in die Schullaufbahn erleichtern. Gleichzeitig fördert die Zivilgesellschaft auch Menschen mit besonderen Begabungen. Ein Beispiel ist der bundesweit tätige Verein MENSA, der hochbegabten Menschen eine Plattform für Austausch und persönliche Weiterentwicklung bietet. Von großer Bedeutung sind auch zivilgesellschaftliche Bildungsangebote für ältere Menschen – sei es in Form von kulturellen Aktivitäten oder ganz praktisch durch PC- oder Smartphone-Schulungen. Gerade in einer alternden Gesellschaft tragen solche Angebote wesentlich zur gesellschaftlichen Teilhabe und Integration bei.
3. Viele zivilgesellschaftliche Akteur*innen sehen sich nicht als Bildungsakteur*innen, obgleich sie Bildungsarbeit leisten. Wie kann Kommune sie dennoch erreichen?
Zunächst braucht es ein gesellschaftliches Umdenken. Bildung wird noch immer stark mit Schule assoziiert. Das führt dazu, dass viele beim Stichwort „Bildung“ nicht an das Jugendzentrum, den Sportverein, den Umweltverein oder das lokal getragene Museum denken – obwohl dort tagtäglich wichtige Bildungsarbeit geleistet wird. Gerade deshalb ist es entscheidend, zivilgesellschaftliche Bildungsbeiträge sichtbarer zu machen – und anzuerkennen, dass Bildung an vielen Orten geschieht, auch außerhalb formaler Institutionen. Das ist jedoch ein langfristiger Prozess, der nicht von heute auf morgen gelingt.
Kurzfristig können Kommunen bereits viel erreichen, indem sie ihre Ansprache anpassen. Wenn man etwa einen Sportverein zur Teilnahme an einer Bildungskonferenz gewinnen möchte, hilft es wenig, ihn als „Bildungsakteur“ anzusprechen – dieser Begriff ist vielen fremd. Erfolgreicher ist es, den Verein als das anzusprechen, was er ist – als Sportverein – und gleichzeitig in wenigen Worten deutlich zu machen, welchen Beitrag er zur Bildungslandschaft leistet: etwa in der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen oder der Vermittlung von Werten wie Fairness und Teamgeist. Auch das Format und die Sprache von Veranstaltungen spielen eine Rolle: statt zur „Bildungskonferenz“ einzuladen, könnte eine Einladung zu „Kommune gemeinsam gestalten“ oder „Zusammen wirken – für Kinder, Jugendliche und Familien“ mehr Resonanz erzeugen. Es geht also darum, den richtigen Zugang zu finden – mit Wertschätzung, Augenhöhe und einem klaren Bezug zur Lebenswelt der zivilgesellschaftlichen Akteure.

4. Haben Sie ein Erfolgsrezept, wie die Einbindung der Zivilgesellschaft in die kommunale Bildungssteuerung gelingen kann?
Ein einziges Erfolgsrezept gibt es nicht – dafür ist die Zivilgesellschaft viel zu heterogen. Die Vielfalt der Akteur*innen, Themen und Formate lässt sich nicht mit einer einzelnen Maßnahme fördern.
Ein zentraler erster Schritt ist jedoch, den Wert zivilgesellschaftlicher Bildungsbeiträge überhaupt anzuerkennen – und zwar auf politischer, institutioneller und gesellschaftlicher Ebene. Natürlich kann und soll Zivilgesellschaft das staatliche Bildungssystem nicht ersetzen. Aber durch ein zielgerichtetes Zusammenspiel kann sie es sinnvoll ergänzen. Wichtig ist dabei, dass auch kleinere zivilgesellschaftliche Bildungsakteur*innen Räume zur Entfaltung erhalten. Nur wenn sie sich mit ihren spezifischen Angeboten einbringen können, entsteht das volle Potenzial dieser Bildungslandschaft – divers, flexibel und nah an den Bedürfnissen der Menschen.
Ebenso wichtig ist es, die Bedürfnisse und Rahmenbedingungen zivilgesellschaftlicher Akteur*innen ernst zu nehmen. Organisationen wie Vereine handeln nach ihrer eigenen Logik – sie sind keine Wirtschaftsunternehmen, denen man einfach Aufgaben übertragen kann. Zivilgesellschaft darf nicht als Lückenbüßer dienen, etwa in Form vermeintlich kostenloser Arbeitskraft, um staatliche Versäumnisse auszugleichen. Wer ihr Potenzial nutzen will, muss auf Augenhöhe kooperieren. Es geht nicht um Auslagerung, sondern um echte Partizipation. Zivilgesellschaft will nicht nur aushelfen, sie will mitgestalten – und dafür braucht sie verlässliche Strukturen, Ressourcen und Anerkennung.
5. Warum sollten Mitarbeitende in Bildungsverwaltungen Ihre Studie gelesen haben?
Zusammenarbeit auf Augenhöhe setzt vor allem Wissen übereinander voraus – und genau daran fehlt es bislang oft. Unsere Studie gehört zu den ersten, die sich gezielt mit der Rolle der Zivilgesellschaft als Bildungsakteur befasst hat. Dabei haben wir nicht nur auf die konkreten Bildungsangebote geschaut, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, unter denen diese Beiträge überhaupt erbracht werden können.

Ein zentrales Ergebnis ist: Zivilgesellschaftliche Bildungsakteur*innen sind besondere Akteur*innen – mit spezifischen Merkmalen, Strukturen und manchmal auch Eigenheiten. Dieses Verständnis ist entscheidend, damit Schulen, Kommunen oder andere Partner realistische Erwartungen entwickeln und tragfähige Kooperationen entstehen können. Besonders herausfordernd ist, dass Bildungsengagement in der Zivilgesellschaft oft sehr zeitintensiv und voraussetzungsreich ist. Gleichzeitig sind viele Bildungsorganisationen genau auf dieses Engagement angewiesen – es ist ihre zentrale Ressource. Umso wichtiger ist es, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Engagierte nicht durch bürokratische Hürden ausgebremst werden, sondern gezielt unterstützt werden. Nur so kann das Potenzial zivilgesellschaftlicher Bildungsarbeit langfristig gesichert und gestärkt werden.