„Bildungsakteure sind Intermediäre, also Vermittler, Anreger und Begleiter‟ – Helena Horner im Gastbeitrag
In der Prozessbegleitung im Bildungsbereich ist ein gegenseitiges Verständnis notwendig, um die Stärken und Möglichkeiten zu erarbeiten, weiß Helena Horner, selbstständige Arbeitspsychologin und Prozessbegleiterin für verschiedene Bildungsakteur*innen in Deutschland.
Dass es dabei nur maßgeschneiderte Prozesse geben kann, ist für die Führungskraftcoachin selbstverständlich. Ebenfalls als selbstverständlich erachtet sie das Zusammenspiel von „kaltem und warmem Lernen“. Was es damit auf sich hat und welche Perlen sie in ihrem Arbeitsalltag hebt, erklärt sie im Gespräch mit unserem Beiratsmitglied Gerhard Mahnken, in dem sie den Wert der Kombination von Erfahrung und Menschenkenntnis im Bildungsbereich verdeutlicht. Ein Gastbeitrag.

Kommunen
stärken
Impulse
geben
Vernetzung
fördern
Guten Tag Frau Horner. Warum coachen Sie ausgerechnet im Bildungssektor?
Seit meine Kinder in die Schule gegangen sind, hat mich der Bildungssektor beruflich interessiert. Vor 20 Jahren habe ich dann angefangen, Kommunen bei Bildungsthemen zu beraten. Nach und nach hat sich aber mein Fokus auf die Menschen gerichtet. Wir können noch so zielführende Strukturen planen, diese können aber nur funktionieren, wenn sie durch Menschen mit Leben gefüllt werden. Seit 2021 fokussiere ich mich als Arbeitspsychologin auf die Menschen im Bildungssystem, mit ihren Erfahrungen und Emotionen und verbinde sie dann mit den Strukturen, die ihre Arbeit beeinflussen. So bin ich von der kommunalen Bildungsberatung zum Führungscoaching in der kommunalen Bildungslandschaft gekommen. Menschen und Strukturen zusammen zu denken und beides weiterzuentwickeln, das treibt mich an.
Was treibt Sie an, geht es etwas genauer?
Da muss ich etwas weiter ausholen. Im Jahr 2000 bin ich mit meinen vier Töchtern nach Berlin gekommen. In einem Vortrag in einem größeren Landkreis in Brandenburg warnte ein Redner davor, dass Kinder aus Familien nichtdeutscher Herkunft mit mehreren Geschwistern und einem alleinerziehenden Elternteil, im Vergleich deutlich schlechtere Chancen auf eine gelingende Bildungsbiografie haben. Mir kam das Schaudern, denn diese Beschreibung traf auf uns zu. Heute bin ich dankbar, dass wir so großartige Unterstützung erfahren haben, von Schulleitungen, Lehrkräften und Beratungsstellen. Damals habe ich mir gewünscht, dass alle Familien in solchen Situationen, wie wir sie erlebt haben, diese Unterstützung bekommen. Meine Töchter haben die Schule geschafft und sind heute erwachsen, selbstständig und gesellschaftlich engagiert. Ich möchte etwas zurückgeben, deshalb stärke ich Menschen im Bildungswesen. Es gibt aus meiner Sicht kein System, wo so viele engagierte Menschen arbeiten. Und sie brauchen unsere Unterstützung, denn das Bildungssystem steht vor gewaltigen Herausforderungen.
Wie kann man sich Ihre Arbeit angesichts dieser Herausforderungen konkret vorstellen?
Eine standardisierte Vorstellung gibt es nicht, denn es gibt bei mir immer nur maßgeschneiderte Prozesse. Sind wir Menschen nicht auch maßgeschneidert? Und jeder Mensch ist Experte für seine eigenen Fragestellungen. In meinen Prozessbegleitungen schaue ich mir die individuelle Ebene genau an, dann hebt sich der Blick weiter auf die Gruppe, die Prozesse und die Strukturen, worin sie eingebettet sind. Ich lege Wert darauf, bei der Prozessbegleitung mein fachliches Wissen und meine Erfahrung einzubringen. Dadurch lernen die Teilnehmenden mehrere Perspektiven kennen und werden dadurch handlungsfähiger. Im Bildungssystem arbeiten viele Professionen zusammen, aus Schule, Jugendhilfe, Sozialhilfe und Verwaltung und mehr. Dann ist der erste Schritt, ein gegenseitiges Verständnis für die Stärken und Möglichkeiten zu erarbeiten, aber auch die Grenzen sichtbar zu machen, die jedes System nun einmal mit sich bringt. Kennen wir diese Perspektiven, dann können wir gemeinsam Neues entwickeln.
Kommen wir noch einmal auf ihr Menschenbild zurück. Sie schreiben auf Ihrer Website, Bildung sei Menschenwerk. Was meinen Sie damit?
Durch internationale Vergleichsstudien wie die PISA-Studie hat sich der Fokus im Bildungssektor zunehmend auf den Leistungserfolg verlegt. Natürlich ist das richtig, aber es geht um mehr. Nämlich um einen breiteren Blick auf den Kompetenzerwerb von jungen Menschen. Denken wir mal an soziale Kompetenzen, Verhalten in Gruppen, oder die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu reflektieren. Diese Dinge lernen junge Menschen nur durch Interaktion. Kinder lernen am meisten in der Peer-Group und das auch zunehmend digital. Diese Entwicklung dürfen wir in den Gruppen nicht nur sich selbst überlassen. Schulen sind Lern- und Lebenswelten für junge Menschen. Sie brauchen Vorbilder und vertraute Räume, in denen sie ihre sozialen Kompetenzen, ihre Soft Skills entwickeln. Wir brauchen dafür Menschen, die diese Lernprozesse von Kindern und Jugendlichen initiieren und moderieren. Bildungsakteure sind Intermediäre, also Vermittler, Anreger und Begleiter. Diesen Menschen gilt mein größter Respekt. Deshalb ist Bildung für mich Menschenwerk.
Sie sprechen manchmal auch vom warmen Lernen. Was meinen Sie damit?
Aus der Erlebnispädagogik wissen wir, dass das, was wir selbst erfahren, meistens das ist, woran wir uns am längsten erinnern. Das ist für mich warmes Lernen. Kognitives Lernen könnte man auch kaltes Lernen nennen. Hierbei verarbeiten wir Informationen und versuchen, Wissen zu verstehen und einzuordnen. Warmes Lernen ist emotionales Lernen, berührend, spürbar, mal traurig und auch mal wütend. Diese Erfahrungen bleiben in Erinnerung. Das eine ist nicht besser als das andere. Wir brauchen beides. Wenn wir ergänzend zur Wissensvermittlung Räume des Erlebens und Vertrauens zur Verfügung stellen, dann kann sich Erlerntes in uns verstetigen. Dann wird Lernen zur Entdeckungsreise, in der man auf tiefere Spuren und Erkenntnisse kommt.
Das gilt übrigens nicht nur für Kinder. In einem Coaching sagte mir eine Führungskraft, dass der Arbeitstag für sie immer mit Stress startet. Als alleinerziehende Mutter stehe sie morgens sehr früh auf, und dennoch sei sie immer zu spät dran. Sie komme aus dieser Mühle nicht raus. Im Gespräch wurde ihr tiefer Wunsch, eine gute Mutter zu sein und Zeit für ihre Kinder zu haben, sichtbar. Diese Erkenntnis hat sie sehr berührt, und so konnten wir überlegen, wie sie ihren Tag gestalten und ihren Wunsch erfüllen kann.
Das klingt nach Erfüllung. Was ist denn bisher Ihr schönstes Erfolgserlebnis als Bildungscoach?
Jede positive Entwicklung in Menschen und Gruppen ist ein schönes Erfolgserlebnis. Jemand sagt auf dem Flur einfach Danke für eine neue Einsicht. Eine vorher eher zurückgezogene Führungskraft stellt sich auf einmal auf die Bühne und legt los. Ein Team strahlt nach einigen Monaten Vertrauen und Arbeitsfreude aus. Das sind die Perlen des Erfolgs. Diese scheinbar kleinen Dinge haben große Wirkung, wie die kleinen Räder, die große Maschinen zum Laufen bringen. Das Bildungssystem ist so eine Maschine. Zu meinem Glück stelle ich fest, dass sich immer mehr Perlen zu einer Kette aneinanderreihen.
Was machen Sie, wenn Sie gerade einmal nicht Perlen sammeln und als Bildungsexpertin coachen?
Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach neuen Themen, die meine Arbeit berühren oder meinen Coachees helfen können. Ich liebe es, Neues zu lernen und in meine Arbeit zu integrieren. Das ist meine große Leidenschaft. Ich besuche internationale Fachkonferenzen und tausche mich mit Kolleg: innen aus. Wenn man so will, habe ich meinen Beruf zum Hobby gemacht.
Was ist da fachlich gerade angesagt für Sie?
Viele Führungskräfte, mit denen ich spreche, berichten derzeit von chronischen Schmerzen, wofür es keine Begründung zu geben scheint. Gleichzeitig berichten sie von Überstunden, Stress und Erfolgsdruck. Das treibt mich als Psychologin gerade stark um, denn zu diesen beiden Themen und ihrer Wechselwirkung wird aktuell intensiv geforscht. Ich möchte beide Entwicklungen verstehen, denn sie betreffen auch das Bildungssystem. Dazu lese ich gerade neuere Studien und tausche mich mit Professionals aus dem Fachbereich aus.
Gibt es noch weitere Aktivitäten in Ihrer Freizeit?
Seit einiger Zeit haben mein Mann und ich das Reisen entdeckt, was wohl ziemlich typisch ist, wenn die Kinder erwachsen sind. So erschließen sich uns nach und nach neue Länder und Regionen. Ich koche auch gerne – auch hier entdecken wir stets eine neue regionale Küche, wenn wir auf Reisen sind. Zum Glück gibt es in meiner Familie leidenschaftliche Esser – und direkt neben meinem Büro ein Fitness Studio!
Danke für das Gespräch, liebe Frau Horner.
Das Interview führte Gerhard Mahnken. Er ist langjähriges Mitglied im Beirat der REAB Brandenburg. Als Mitarbeiter am
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner verantwortete er dort seit vielen Jahren die Brandenburger Regionalgespräche. Zudem begleitet er weiterhin kommunale Teams und Führungskräfte bei kommunikativen und strategischen Problemlösungen.