9. Spitzengespräch zum kommunalen Bildungsmanagement

Wie Bildungschancen und Teilhabe in Kooperation zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft gestärkt werden können.

Am 25. und 26. September 2025 luden wir wieder zu einem fachlichen Austausch im Rahmen des 9. Spitzengesprächs zum kommunalen Bildungsmanagement ins Schloss und Gut Liebenberg im Löwenberger Land ein.

Hier hatten Teilnehmende die Gelegenheit, mit Dezernent*innen und Amtsleitungen für Bildung, Jugend und Soziales sowie Vertreter*innen der Bundes- und Landesministerien, der kommunalen Verwaltungsspitzen, der Wissenschaft und der Bildungspraxis in Brandenburg ins Gespräch zu gehen. Eingeladen waren in diesem Jahr auch die Integrationsbeauftragten und Leiter*innen der Volkshochschulen.

Erfolgreiche Integration braucht Bildung – ein Leben lang

Wie die gesamt­gesell­schaf­tlichen Kraft­akte Integration und Fach­kräfte­siche­rung gelingen

Welche Brille setzen wir auf, wenn wir auf Integration und Fach­kräfte­sicherung in Deutschland schauen? Bisher ist der Diskurs zu Migration und Integration von einem westdeutschen Blick geprägt. Das wird dem Osten Deutschlands nicht gerecht. In fast allen Familien in Ostdeutschland gibt es Flucht- und Migrations­erfahrungen. Nach Zeiten der Transformation dominiert hier ein starker Wunsch nach Kontinuität, Sicherheit und Gleichwertigkeit. Im Zuge der Migration­serfahrungen der letzten 10 Jahre hat sich daraus eine Ablehnungs­kultur gegenüber Neuzu­gewanderten und Geflüchteten entwickelt: ein Dilemma mit Blick auf den demografischen Wandel und fehlende Fachkräfte. Ein glaubwürdiges Bildungs­versprechen für alle kann ein Weg zu Integration und Fach­kräfte­sicherung sein, die kommunale Bildung dafür ein Schlüssel.

Diese Erkenntnis wurde beim 9. Spitzengespräch zum Kommunalen Bildungs­management am 25. und 26. September 2025 herausgearbeitet. Unter dem Titel „Bildung. Integration. Fachkräftesicherung. Wie Bildungs­chancen und Teilhabe in Kooperation zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft gestärkt werden können“ kamen dafür Teilnehmende aus Wissenschaft, Verwaltung und Zivil­gesell­schaft zusammen.


Der wissenschaftliche Blick

Brandenburg ist ein Flächenland mit einer höheren Alterungsrate als andere Bundesländer. Zusätzlich gab es in den letzten Jahrzehnten eine enorme Abwanderung. Der Status quo an wirtschaftlicher Stabilität kann nur mit Einwanderung gehalten werden. „Der demografische Wandel in Brandenburg lässt sich nicht aufhalten, nur abschwächen“, erklärt Prof. Dr. Herbert Brücker, Migrationsforscher am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Lange konnte das Migrationspotenzial aus anderen EU-Ländern geschöpft werden, doch seit 2024 ist diese Entwicklung rückläufig, weshalb die zukünftige Migration aus dem außereuropäischen Ausland kommen muss. Doch um Menschen erfolgreich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, spielt die Einstellung der Bevölkerung eine wichtige Rolle. Diese nimmt Schaden, wenn anstelle von Willkommenskultur eine Ablehnungskultur oder gar Diskriminierung tritt.

Prof. Dr. Birgit Glorius, Humangeografin von der TU Chemnitz, erklärt, dass der Diskurs von Migration und Integration von westdeutscher Migrationsgeschichte geprägt ist. Auch in der DDR gab es Einwanderer und Einwanderinnen, doch die blieben unsichtbar. Heute haben sich Ressentiments und die Ablehnung von Migration im Osten aufgebaut und stehen einer teilhabeorientierten Einwanderungsgesellschaft im Weg. Wie konnte das passieren?

Die Wissenschaft verweist auf folgende Ergebnisse: Ablehnung von Migration trifft auf fehlendes Vertrauen in bestehende Institutionen. Ablehnung korreliert mit Deprivationsempfinden, sprich der Zurücksetzung einer Gruppe gegenüber einer anderen. Und Ablehnung geht mit persönlichen Unsicherheitsgefühlen einher. „Wir befinden uns global, in Europa, Deutschland und Brandenburg in einem Zeitalter der Unsicherheit“, erklärt Prof. Dr. Edgar Grande (em.), Gründer des Zentrums für Zivilgesellschaftsforschung am WZB Berlin. Unsicherheit wird zum Schlüsselbegriff der neuen Moderne. Infolgedessen finden in allen westlichen Gesellschaften Polarisierungen statt. Hier sind wir gefragt, Sicherheit neu zu definieren, ein neues Verständnis des Anderen zu formulieren und ein glaubwürdiges Bildungsversprechen zu geben.


Der fokussierte Blick auf Brandenburg

Stefan Klein ist Dezernent für Finanzen, Schulen und innere Verwaltung im Landkreis Dahme-Spreewald. Er weiß, wie wichtig es ist, Bleibeperspektiven aufzuzeigen. In seinem Landkreis konnte er beispielsweise ein Welcome Center einrichten oder auch das Projekt „LDS integriert – Ausbildung und Arbeit“ umsetzen. Bildungskonferenzen, Arbeitskreise und eine AG zur Berufsorientierung tragen zusätzlich zur Teilhabe bei. „Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen gerne hier sind“, sagt Klein. „Junge Menschen zu halten, gelingt durch Kulturförderung, Angebote bei der Feuerwehr oder Teilhabefonds.“ Das alles sind Maßnahmen, die auch Bestandteile einer Willkommenskultur sein können.

Anja Miersch, Dezernentin für Bildung, Jugend und Soziales im Landkreis Elbe-Elster sieht die Vorteile im ländlichen Landkreis: Vor Ort gibt es viele Kleinstunternehmen, sie sind flexibel und leisten einen großen Beitrag bei der Integration. Sie sind Schlüsselinstitutionen, die unerlässlich sind, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten. Dennoch sind Sprachkurse unabdingbar, um Menschen zu integrieren. Und gerade hier hakt es in Elbe-Elster: Ausreichende Sprachkurse mit qualifizierten Lehrkräften können nicht angeboten werden und es fehlt für manche Branchen der erforderliche Fachsprachkurs.


Dieser Lücke ist sich auch die Betriebliche Begleitagentur bea-Brandenburg bewusst. Für Denise Gramß, Projektleiterin bei der bea-Brandenburg, ist daher die Zusammenarbeit im Betrieb selbst das vorherrschende Thema, um die Integration zu fördern. Die sprachliche Barriere kann dabei mit pragmatischen Lösungen überwunden werden: einfache Sprache nutzen, Sprachmentor*innen vermitteln, Arbeitsutensilien beschriften.

Ebenso wichtig ist die Netzwerkarbeit für die besonders vulnerable Gruppe von Frauen und Kindern mit Migrationshintergrund oder Fluchterfahrung. Britta Stöwe vom Arbeitskreis Migration Westhavelland schildert: „Wir beraten, führen Fachtage und Netzwerkpartnerschaften durch und machen diese Gruppe damit sichtbar.“ Nicht zu vernachlässigen ist dabei auch die Nachbarschaft, die ebenso sensibilisiert werden muss.

„Es ist ein gesamt­gesell­schaft­licher Akt, denn Integration ist eine Daueraufgabe“, bestätigt Dr. Sylvia Setzkorn, Beauftragte für Gleichstellung, Migration und Integration. Sie lenkt den Fokus auf die übergreifende Zusammenarbeit: „Eine gute Netzwerkarbeit, die alle Akteur*innen in der Integration einbindet, auch die Zivilgesellschaft, ist von zentraler Bedeutung.“



Den Blick auf Migration wenden

Prof. Dr. Birgit Glorius zufolge ist der Osten Deutschlands mit seiner Integrations­infra­struktur aktuell teils besser aufgestellt als die westlichen Bundesländer. So kann hier mit der ersten Generation Zugewanderter in den Kontakt getreten und damit Brückenpotenzial genutzt, also auf bereits integrierte Migrant*innen aufgebaut und damit Teilhabe ermöglicht werden.

Grundlage dafür ist es, Räume für Bildung zu schaffen, die frei von Diskriminierung und leicht zugänglich sind. Mit Blick auf die Zeit erklärt sie, dass nicht auf die zweite Generation gewartet werden kann, sondern der Austausch mit der ersten Generation stattfinden und die zweite Generation gefördert werden sollte. Darin übereinstimmend sieht Prof. Dr. Edgar Grande die Notwendigkeit eines glaubwürdigen Bildungsversprechens für alle Bürger*innen: „Was immer auch kommt, wir werden dich fördern und unterstützen!“

Gerade die Bildungspolitik ist laut Grande der wichtigste Hebel, wenn die Demokratie und der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden sollen. Der Schlüssel für die Reform des Bildungssystems liegt bei den Kommunen, welche ihre Bildungslandschaften zu Lernfeldern für eine Neugestaltung des Bildungswesens entwickeln könnten. Bildung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass gesellschaftlicher Wandel als Gewinn an Lebenschancen wahrgenommen werden kann.

Hierbei ist vor allem auch die eigene Selbstwirksamkeit angesprochen. Dem Ziel einer teilhabeorientierten Gesellschaft kann unter Berücksichtigung der Zivilgesellschaft nähergekommen werden. Die Potenziale des ehrenamtlichen Engagements sind vielerorts noch ungenutzt.

Grundlage dafür ist es, Räume für Bildung zu schaffen, die frei von Diskriminierung und leicht zugänglich sind. Mit Blick auf die Zeit erklärt sie, dass nicht auf die zweite Generation gewartet werden kann, sondern der Austausch mit der ersten Generation stattfinden und die zweite Generation gefördert werden sollte. Darin übereinstimmend sieht Prof. Dr. Edgar Grande die Notwendigkeit eines glaubwürdigen Bildungsversprechens für alle Bürger*innen: „Was immer auch kommt, wir werden dich fördern und unterstützen!“

Da dieser Wandel auch für Menschen mit Migrationshintergrund gilt, sieht Issam Kanjo vom Projekt Empowerment und Partizipation von Migrant*innenorganisationen in Brandenburg (EmPaBB) die dringende Notwendigkeit, die Integrationsbeiräte in den Landkreisen mit einzubeziehen. „Es darf hierbei nicht über sie, sondern muss mit ihnen gesprochen werden.“ Dafür brauchen Migrant*innenorganisationen strukturelle Förderung, um als gleichberechtigte Partner*innen in der kommunalen Bildungssteuerung wirken zu können. Dazu gehören zum Beispiel feste Ansprechpersonen, Ressourcen und Beteiligungsrechte. Wenn Migration verbessert und Teilhabe gelebt werden sollen, gilt es, Migrant*innenorganisationen in jedem Prozess zu berücksichtigen.


Mit Teilhabe ist auch die Gruppe der Jugendlichen gemeint, betont Regina Büttner vom Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS), Referat 35. Es geht darum, sie nicht zu verlieren, weshalb deren Eltern neben der politischen Bildung, Demokratiebildung, kulturellen Bildung und Vielfaltssensibilisierung eine Schlüsselrolle zukommt. Ein wichtiger Schritt ist es, die Türen in die Schulen für die Zivilgesellschaft zu öffnen.

Die Volkshochschulen sind ebenfalls wichtige Partner*innen, die darin unterstützt werden sollten, ihre Zielgruppen zu erreichen. Hilfreich wäre, die Angebote einfach zu gestalten. Genau hierfür gibt Sebastian Kunze vom Brandenburgischen  Volkshochschulverband e. V. ein aktuelles Beispiel: „‚Diskurs am Suppentopf‘ ist ein politisches Gesprächsforum in Verbindung mit einem gemeinsamen Essen. Hier stellt die VHS einen Raum, wo Menschen zusammenkommen, die sich sonst nicht begegnen würden.“

Genau solche zivilgesellschaftlichen Bestrebungen brauchen Rückendeckung seitens der Verwaltung und Politik, stimmt Markus Klein von demos, dem Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung zu: „Das schafft Raum für Begegnungen und nimmt die Menschen mit.“ Es gibt und braucht solche konstruktiven Ansätze, die vor allem auch dem Rechtsextremismus entgegengesetzt werden. „Das Vertrauen und die Zusammenarbeit mit und auf der kommunalen Ebene ist entscheidend“, weiß auch Alfred Roos von der Staatskanzlei Brandenburg und Leiter von „Tolerantes Brandenburg“ zu berichten.

Insgesamt ist Netzwerkarbeit grundlegend, wie Dr. Imke Möller von der Koordinierungsstelle Migration und Teilhabe im Landkreis Lüneburg berichtet. An ihrer Stelle laufen viele Informationen zusammen, werden an die relevanten Akteur*innen weitergegeben und verknüpft. Ihre Erfahrung zeigt, dass Integration genau wie Bildung eine lebenslange Aufgabe ist. Dieser Aufgabe sollten sich alle Beteiligten stellen.

In diesem Sinne appelliert Prof. Dr. Birgit Glorius, statt skandalisierenden Diskussionen aus dem reichen Schatz positiver Erzählungen zu schöpfen und gute Beispiele öffentlich zu machen.


Gemeinsamer Blick auf Integration

„Hier kann das kommunale Bildungsmanagement einen wesentlichen Beitrag erbringen“, betont Dr. Stefanie Hildebrandt, Projektleiterin der REAB Brandenburg. Mit dem vorhandenen Spektrum an Erkenntnissen und Initiativen in unserer Gesellschaft können Synergien gebündelt und sichtbar gemacht werden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Politik und Verwaltung hierbei die besondere Verantwortung zukommt, einen systematischen Prozess des gemeinsamen Lernens zu entwerfen und dabei das zivilgesellschaftliche Engagement einzubinden und zu aktivieren. Dafür sollten die Kommunen Mut zeigen, das allgemein vorherrschende Narrativ zu Migration und Integration positiv zu wenden. Die Potenziale sind vorhanden und können mit einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft und einer kommunalen Strategie für Bildung wegweisend genutzt werden.


Material


Weiteres zum Thema Bildung



Format Spitzengespräch

Das Spitzengespräch der REAB Brandenburg ist ein seit mehreren Jahren bewährtes Format zum Austausch und Netzwerken für Spitzenvertreter*innen der Brandenburger Landkreise.


Kontakt

LEITERIN