März 2022

Fachkräfte halten, Demografischem Wandel begegnen

 

Mit einer kommunalen Bildungssteuerung die Herausforderungen der Zukunft gezielt meistern

Fachkräftesicherung ist ein bedeutender Standortfaktor für die Landkreise und kreisfreien Städte. Demografischer Wandel und soziale Unterschiede in der Bevölkerung stellen Kommunen vor große Herausforderungen, die auf den örtlichen Fachkräftemarkt wirken. Kommunale Bildungssteuerung stellt eine Möglichkeit dar, auf strukturelle Entwicklungen zu reagieren und zukunftsfähige Lösungen abzuleiten.

Die Transferagentur Brandenburg hat am 29. Oktober 2021 ihr 5. Spitzengespräch zum kommunalen Bildungsmanagement mit dem Titel „Wer, wenn nicht wir?! – Bildung und Beteiligung vor Ort strategisch steuern“ im digitalen Raum durchgeführt. Prof. Dr. em. Horst Weishaupt, der bis zu seiner Pensionierung 2013 Leiter der Arbeitseinheit „Steuerung und Finanzierung des Bildungswesens“ am Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation (DIPF) war, stellte in einem Impuls die wissenschaftliche Perspektive auf die Potenziale kommunaler Bildungssteuerung zwischen demografischem Wandel und Bildungsgerechtigkeit dar. Der Experte beleuchtete die strukturellen Entwicklungen im Bildungswesen sowie die daraus folgenden wachsenden Herausforderungen, die sich für die kommunale Bildungssteuerung ergeben. Er machte deutlich, wie die Trends der Zukunft miteinander verknüpft sind – unter anderem die Verbindung von demografischer und sozialer Entwicklung mit der Fachkräftesituation vor Ort.

 

Aktuelle Herausforderungen im Bildungswesen vor dem Hintergrund von demografischer Entwicklung und sozialer Lage

Das Bildungswesen unterliegt einem stetigen Einwirken äußerer Rahmenbedingungen und mit Blick auf die heutige Zeit ergeben sich nach Prof. Weishaupt drei zentrale Herausforderungen:

  • deutlich sinkende Bevölkerung im Erwerbsalter

Die demografische Entwicklung im Land Brandenburg zeigt, dass die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2030 um circa 7 Prozent zurückgehen wird. Dieser Trend entwickelt sich nach Ansicht des Experten unter anderem, weil die Netto-Zuwanderung aus dem In- und Ausland nicht ausreicht, um die Anzahl der Personen, die das Erwerbsleben verlassen, auszugleichen. Bei konstantem Arbeitskräftebedarf führt die rückläufige Zahl der Erwerbstätigen zu steigendem Arbeitskräftemangel. Wichtigste Ursache ist, dass auf zehn Erwerbstätige, die in den kommenden 20 Jahren in Rente gehen, lediglich fünf Erwerbseinsteiger*innen durch die geburtenschwachen jungen Jahrgänge folgen können. Nach Prof. Weishaupt sind erhöhte und den regionalen Bedingungen angepasste Bildungsanstrengungen von der Schule und Berufsausbildung bis hin zu berufsbegleitenden Weiterbildungen und Zusatzqualifizierungen notwendig, um der zu erwartenden Facharbeiterlücke über die Erschließung aller Begabungsreserven in allen gesellschaftlichen Gruppen zu begegnen.

  • soziale Unterschiede in der Bevölkerung

Soziale Unterschiede in der Bevölkerung haben einen großen Einfluss auf verschiedenste Bereiche des sozialen Lebens und bestimmen nicht zuletzt den Zugang zu Bildung und die erreichten Bildungsqualifikationen. Laut Prof. Weishaupt wächst in Brandenburg jedes vierte Kind unter 18 Jahren in einer sozialen Risikolage und jedes fünfte Kind in Armut auf und kann somit von einem erschwerten Zugang zu chancengerechter Bildung betroffen sein. Es sind intensivierte kommunale Bemühung notwendig, um soziale Ungleichheiten über alle Altersgruppen hinweg abzubauen und Zugänge zu Bildung zu erleichtern.

  • regionale Unterschiede in der demografischen Entwicklung

Der Blick auf die demografische Lage im Land Brandenburg zeigt einerseits ein durch Zuwanderung erreichtes Bevölkerungswachstum in den an Berlin angrenzenden Regionen, andererseits eine generell abnehmende Bevölkerung, vor allem von jungen Einwohner*innen in den peripheren Regionen. Folglich stellen der Erhalt der bestehenden Bildungsinfrastruktur und die spezifischen Ausbauerfordernisse des Bildungsangebots vor Ort eine – je nach regionaler Lage der Kommunen – in ihrer Komplexität unterschiedlich schwere Herausforderung dar.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, sei eine Ankopplung der regionalen Qualifikationsprofile an den regionalen Beschäftigungsbedarf unerlässlich, um über regional verwertbare Bildungsqualifikationen Abwanderung entgegenzuwirken, so Prof. Weishaupt. Sowohl starken sozialen Unterschiede, die sich aus der sozialen Herkunft ergeben, als auch räumlichen Unterschieden, die aus demografischen Entwicklungen hervorgehen, kann mittels einer Anpassung und Optimierung der regionalen Bildungsstrukturen entgegengewirkt werden.

 

Herausforderungen für die kommunale Bildungssteuerung

Um die beschriebenen demografischen und sozialen Entwicklungen zu bewältigen, sieht der Experte wichtige Aufgaben auf die Kommunen und Regionen zukommen, die überdies mit steigenden Anforderungen an die kommunale Bildungssteuerung einhergehen:

  • gezielte Förderung von Schulen mit sozial herausfordernden Bedingungen

Um Schüler*innen zu fördern, die sich in einer herausfordernden sozialen Lage befinden, kann eine gezielte Zuweisung von zusätzlichem pädagogischen Personal und eine frühzeitig einsetzende Berufsorientierung entlang der Bedingungen des regionalen Arbeitsmarkts in diesen Bildungseinrichtungen besonders hilfreich sein.

  • Abstimmung zwischen Bildungsqualifikationen und dem Arbeitskräftebedarf

Als eine weitere Aufgabe sieht Prof. Weishaupt eine kontinuierliche Verknüpfung zwischen dem örtlichen Arbeitskräftebedarf und dem kommunalen Angebot für den Erwerb von Bildungsqualifikationen entlang aller Altersstufen. An dieser Stelle führt er zudem an, dass eine breit aufgestellte berufliche Qualifikationsinfrastruktur bezogen auf den regionalen Beschäftigungsbedarf unerlässlich für die Kommunen sei. Dazu gehören verstärkte Bemühungen zur Weiterentwicklung von Maßnahmen der Berufsorientierung sowie der Ausbau der Berufsfachschulen und beruflichen Gymnasien im Bereich Wirtschaft, Technik und Gestaltung orientiert am regionalen Fachkräftebedarf.

  • Ausbau der Strukturen beruflicher Weiterbildung

Der Strukturwandel des Beschäftigungssystems, bedingt durch Rationalisierung und Innovationen, wird nach Prof. Weishaupt in Zukunft nur über intensivierte Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung über alle Qualifikationsstufen hinweg gelingen. Eine Sicherung des Arbeitskräftebedarfs über Formen der nachholenden Berufsqualifizierung (z. B. Weiterbildung von Unqualifizierten und älterer Arbeitnehmer*innen) sei nur durch das öffentliche Berufsschulsystem möglich, das für diese Zwecke flächendeckend ausgebaut sein sollte. Über Fachschulangebote muss die Fortbildung zum Meister und Techniker gesichert sein. Berufsschulen sind somit regional- sowie strukturpolitisch von unverzichtbarer Bedeutung.
Entlang des Impulses von Prof. Weishaupt lässt sich bilanzieren, dass eine „kommunale Bildungsoffensive“ von der frühen Kindheit bis in das höhere Erwachsenenalter für die Bewältigung der aktuellen und künftigen Herausforderungen unerlässlich ist.

 

Gezielt steuern mithilfe des kommunalen Bildungsmonitorings

Die Erfahrungen in der Umsetzung von knapp einem Jahrzehnt „Transferinitiative“ zeigen, dass den beschriebenen Herausforderungen im Bildungswesen mit einem kommunalen Bildungsmanagement begegnet werden kann. Dessen Ziel ist eine bedarfsorientierte Ausgestaltung und Steuerung im Bildungswesen, um Zugänge zu Bildung zu erleichtern, da diese in Brandenburg wie in Deutschland noch eng mit der sozialen Herkunft verknüpft sind. Ein wesentliches Instrument im Bildungsmanagement ist das Bildungsmonitoring. Es bildet die Bildungslandschaft vor Ort ab, schafft damit eine objektive Grundlage für den politischen Diskurs und ermöglicht, besondere Belastungslagen vor Ort sichtbar zu machen. Durch eine regelmäßige Betrachtung der Bildungslandschaft werden Bedarfe und Trends sichtbar. Je sozialräumlicher die Betrachtung ist, desto klarer ist das Bild der sozialen Lagen und umso wirksamer und gezielter können Ressourcen eingesetzt werden. So können mithilfe von Daten passgenaue Lösungen entwickeln werden, um auf die Trends der Zukunft zu reagieren und somit die Zukunftsfähigkeit des kommunalen Standorts zu sichern.

Das Ziel fest im Blick: Kommunale Bildungssteuerung stellt eine Möglichkeit dar, auf strukturelle Entwicklungen zu reagieren und zukunftsfähige Lösungen abzuleiten.

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„Potentiale kommunaler Bildungssteuerung zwischen demografischem Wandel und Bildungsgerechtigkeit“, Prof. Dr. em. Horst Weishaupt, 29.10.2021